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hier finden sie die Blawgeinträge.07.11.2011 | Blawgarchiv | Mail an den Autor
Dr. Brigitte Birnbaum,
Ein richtiger Schritt
Kaum etwas ist belastender als überlange Konflikte um Obsorge und Besuchsrecht für Kinder. Diese sind eine Qual für beide Elternteile und vor allem die Kinder selbst, die viel mehr mitbekommen, als die Eltern glauben. Je länger der Streit dauert, umso größer ist die Gefahr, dass sich die Fronten noch mehr verhärten. Dadurch droht dann oft ein konstruktives Zusammenwirken der Eltern – die ja beide Verantwortung gegenüber dem gemeinsamen Kind tragen – unmöglich zu werden.
Dabei haben eigentlich alle Seiten ein großes Interesse an einer raschen Beendigung des Verfahrens. Dennoch sind viele Schritte notwendig: das umfassende Parteiengehör, die Aufklärung aller maßgebenden Tatsachen, die Entscheidung des Gerichts, die Möglichkeit von Rechtsmitteln und die Entscheidung darüber. Eine Besonderheit des Pflegschaftsverfahrens ist, dass dabei nicht nur über abgeschlossene Sachverhalte zu entscheiden ist, sondern über einen im Fluss befindlichen Prozess, in dem emotionale Beziehungen eine große Rolle spielen.
Keineswegs unveränderlich ist aber die Überlastung der Familienrichter, der beigezogenen Sachverständigen und der Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt. Bei Expertengesprächen im Justizministerium forderten daher alle Teilnehmer dringende Maßnahmen zur Beschleunigung der Pflegschaftsverfahren. Daraus entsteht nun der Modellversuch Familiengerichtshilfe an einigen Bezirksgerichten. Den Richtern werden zur Unterstützung Sozialarbeiter und Psychologen zur Seite gestellt. Wenn sich der Versuch bewährt, soll er auf ganz Österreich ausgedehnt werden. Er startet 2012 in Innsbruck, Amstetten, Leoben und am Bezirksgericht Innere Stadt Wien.
In diesem Modellversuch soll nun einerseits eine Abgrenzung der richterlichen Entscheidung von der Tätigkeit der Sozialarbeiter und Psychologen erreicht werden, andererseits aber ein ständiger persönlicher fachlicher Gedankenaustausch zwischen all diesen im gleichen Gerichtsgebäude unterzubringenden Experten ermöglicht werden.
Diese Familiengerichtshilfe stellt eine rasche erste Eingreiftruppe dar. Sie soll rasch den Sachverhalt feststellen, um das Verfahren auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren. Die Richter sollen die Fachkräfte sofort mit konkreten Erhebungen beauftragen können. Dennoch sollen Sachverständige und Jugendämter ihre Rolle behalten. Primär geht es daher darum, bei der Mediation eine gütliche Einigung zu erreichen, die naturgemäß eine erhöhte Akzeptanz hat.
Die Rechtsanwälte begrüßen dieses Projekt. Es ist ein richtiger Schritt in Richtung eines Familienkompetenzzentrums, in dem alles unter einem Dach ist. Die große Gefahr ist aber, dass es zu wenig Mittel für eine qualifizierte personelle Ausstattung gibt. In diesem Fall würde es nicht zu einer Beschleunigung der Verfahren, sondern zu einer weiteren Verzögerung kommen. Diese droht insbesondere dann, wenn es nicht endlich zu einem Verzicht auf kleine Bezirksgerichte und zur Bildung großer Organisationseinheiten kommt die billiger und schlagkräftiger sind.