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hier finden sie die Blawgeinträge.26.07.2011 | Blawgarchiv | Mail an den Autor
Dr. Brigitte Birnbaum,
Die Kinder auf der langen Bank
Heimlich, still und leise hat die jüngste Regierungsklausur eines der wichtigsten Justizprojekte auf die lange Bank geschoben, nämlich die Reformen im Familienrecht zu Obsorge und zum Besuchsrecht. Für diese Reformen findet sich nun plötzlich erst der Herbst 2012 als Zieldatum. Obwohl hier nach intensiver Arbeit ein fertig ausgearbeiteter Vorschlag (Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2012) vorliegt. Obwohl die österreichischen Familienrichter auf den diesbezüglichen Gesetzesbeschluss drängen. Obwohl die rasch zunehmende Zahl von geschiedenen Familien, von Patchwork-Situationen und anderen Abweichungen vom traditionellen und schönen Idealbild einer heilen Familienwelt dringend nach einer Lösung verlangen. Obwohl dadurch auch Maßnahmen wie die erhoffte neue Familiengerichtshilfe nicht zustande kommen, durch welche die überlasteten Gerichte spürbar entlastet worden wären. Das ist überaus traurig. Und man kann der Vorsitzenden der Familienrichter Doris Täubel-Weinreich nur voll beipflichten, wenn sie konstatiert, dass dieses Hinausschieben zulasten der
Kinder geht. Das passiert nun fast unmittelbar nach einem Wechsel der Justizministerin. Die neue Ressortchefin war mit dem Versprechen angetreten, das angeschlagene Image der Justiz zu rehabilitieren. Genau dazu wäre neben einer Aufstockung der Zahl der Familienrichter und deren Aufwertung ein Beschluss des von ihrer Vorgängerin bereits fertig geschnürten Familienrechtspakets hervorragend geeignet (gewesen). Es gibt freilich keine Hinweise, dass die Verschiebung eine Initiative der neuen Ministerin gewesen wäre. Vielmehr haben sich mit Hilfe des Frauenministeriums jene Gruppen durchgesetzt, die den geplanten Neuerungen gegenüber nicht aufgeschlossen sind, die aus extremen Einzelfällen völlig zu Unrecht auf die Mehrheit der Scheidungssituationen schließen. Österreich ist daher vorerst weiterhin nicht in der Lage, durch ein moderneres Familienrecht sicherzustellen, dass die Rechtsbeziehung der Kinder zu beiden Eltern nach Scheidung oder Trennung unverändert bleibt, sofern nicht im Einzelfall gravierende Gründe dagegen sprechen. Es wird daher weitere Verurteilungen der Republik durch den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof geben müssen, bis der heimische Gesetzgeber endlich reagiert. Was eigentlich ziemlich beschämend für das Land ist. Und was viele Scheidungskinder weiterhin auch juristisch zu Scheidungsopfern macht. Überaus ärgerlich ist das Desinteresse der Regierung aber auch für alle jene, die etwa als Freiberufler wie die Rechtsanwälte viel Energie als Teilnehmer von Expertengruppen investiert haben. Sie können nur konstatieren, dass es zumindest vorerst wieder einmal leere Kilometer waren.