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hier finden sie die Blawgeinträge.07.03.2011 | Blawgarchiv | Mail an den Autor
Dr. Brigitte Birnbaum,
Familien im Wandel
Die letzten Tage zeigten wieder ein abschreckendes Beispiel, wie an sich vernünftige Vorschläge durch extreme Diskussionsbeiträge kaputt gemacht werden. Das konnte man rund um den an sich vernünftigen Vorschlag des Justizministeriums zur gemeinsamen Obsorge sehen. Man muss nun lebhaft befürchten, dass am Schluss nur noch ein fauler Kompromiss herauskommen wird.
Das ist schade. Denn es geht darum, einen gesellschaftspolitischen Wandel auch im Gesetz nachzuvollziehen. Der besteht im Kern darin, dass die Väter des 21. Jahrhunderts ungleich mehr in den Alltag ihrer Kinder eingebunden sind als in früheren Epochen. Was in Zeiten, da meist beide Eltern berufstätig sind, oft gar nicht anders möglich ist.
Scheidungen lösen da jedoch immer eine tiefe rechtliche Zäsur aus. Ein Elternteil, meist der Vater, wurde rechtlich seiner Funktion enthoben. Selbst wenn Kinderpsychologen in Gutachten die Beibehaltung der Obsorge beider Eltern befürworteten, konnte der Richter die gemeinsame Obsorge gar nicht anordnen, wenn sich ein Elternteil, meist die Mutter, dagegen querlegte.
Diese rechtliche Situation ermöglichte es, dass sich – subjektiv verständliche, aber objektiv nicht schützenswerte – Rachegefühle gegen die Interessen der Kinder durchsetzen konnten. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.
Vielleicht entstand das Durcheinander deshalb, weil die Justizministerin unglücklicherweise davon spricht, dass es künftig nach der Scheidung eine automatische gemeinsame Obsorge geben soll. Das ist aber unrichtig. Denn vorgesehen ist, dass der Richter auf einen Antrag hin zu prüfen hat, ob wichtige Gründe dagegen sprechen. Es bleibt also bei einer Einzelfallprüfung.
Die Vorteile einer gemeinsamen Obsorge haben schon viele andere europäische Länder erkannt, die mit ihrer Einführung gute Erfahrungen gemacht haben. Es ist sogar möglich, dass Österreich – wieder einmal! – eine Verurteilung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof riskiert, wenn der Gesetzesentwurf scheitert. Das sollte die Republik vermeiden, auch wenn für das neue Gesetz eine Aufstockung der Familienrichter sicher notwendig sein wird.
Woher stammen dann die Gegenstimmen? Das sind vor allem Personen, die in ihrem beruflichen Alltag mit familiärer Gewalt konfrontiert sind. Das färbt auch auf ihre Sicht der Dinge ab.
Nur ist beim allergrößten Teil der Österreicher keineswegs der Vater, der Kinder prügelt oder missbraucht, der Normalfall. Für diese Väter gibt es natürlich auch nach diesem Gesetzesvorschlag keine Chance auf Teilhabe an der Obsorge. Es ist aber eine gesellschaftspolitisch sehr bedenkliche Sicht, wenn man deswegen auch alle Durchschnittsväter primär als gefährliche Gewalttäter behandeln will.